Meine Gedanken über die Chancen dieser Zeit und was wir gerade gemeinsam lernen dürfen:
Es lebe die Spontanität
Ich erwarte gerade Besuch von meiner Familie für einen gemeinsamen Urlaub am Meer. Der ist durch verschiedene Umstände bereits das dritte mal in Folge verschoben worden. Spätestens jetzt fühlen wir uns alle überreif für ein paar Tage in familiärer Gemeinschaft und Auszeit vom Alltag. Sicherlich hat jeder, der diese Zeilen liest, im letzten Jahr ähnliche Erfahrungen gesammelt.
So unbequem die Situation gerade ist, bringt sie mich dennoch immer wieder zum schmunzeln. Darüber, wie sehr wir es gewohnt sind in die Zukunft zu denken, Pläne zu schmieden und mit welcher Selbstverständlichkeit wir davon ausgehen, dass sich unser Leben tatsächlich planen lässt und unseren Vorstellungen folgt. Wie realistisch ist das denn bitte? Mit den aktuellen Umständen bewegen wir uns viel näher an der Wahrheit.
Wir sind eingeladen, spontan zu bleiben und die Dinge nicht mehr so ernst zu nehmen – uns selbst eingeschlossen. Darin kann eine große Erleichterung verborgen liegen. Wenn du dich selbst zum Lachen bringen willst, schau dir deine Denkmuster an, wie du immer wieder verbissen davon ausgehst, dass du dein Leben durchplanen kannst. Atme tief durch, umarme die Dinge, wie sie sind und vertraue auf deine innere Führung.
Die Endlichkeit umarmen
Als mein Vater kürzlich gestorben ist, wurde mir schlagartig auch die eigene Endlichkeit bewusst. Von heute auf morgen kann plötzlich alles anders sein. Dieses schmerzhafte Ereignis war ein großes Tor und Initiation ins Leben für mich. Ich durfte dadurch ganz nah an den Kern meines Seins hervor zu dringen und glasklar sehen, was ich möchte und was mich in Wirklichkeit nullkommanull interessiert.
Seitdem lebe ich mein Leben anders und viel intensiver. In Wahrheit weiß keiner von uns, was morgen ist und wann wir den letzten Atemzug machen. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben. Das einzige, worüber wir uns wirklich sicher sein können ist die Tatsache, dass wir irgendwann sterben.
Umso faszinierender ist es für mich, dass wir unsere eigene Sterblichkeit trotzdem immer wieder vergessen. Als junge Menschen müssen wir uns sogar bewusst daran erinnern, aber auch bei älteren Menschen scheint es viel üblicher und vielleicht auch nur allzu menschlich, das Thema Tod und Vergehen wegzuschieben.
Wer will schon ans Sterben denken? Das macht Angst. Und was machen wir mit Angst? Schnell wegdrücken. Schade eigentlich, denn auch als Gesellschaft tut es uns gar nicht gut, uns in Gedanken immer wieder unsterblich zu machen. Der Tod ist so eng mit dem Leben verwoben und etwas ganz natürliches. Die Auseinandersetzung damit hält auch Geschenke für uns bereit, wenn wir offen genug dafür sind, sie anzunehmen.
Wie wäre es, wenn wir als Kollektiv diese Chance nutzen und mit dem Tod Frieden schließen? Wenn jeder einzelne von uns die Gefühle dazu bewusst einlädt und kennenlernt? Was fühlst du, wenn du an deinen eigenen Tod denkst? Welche Gedanken lässt dieses Thema in dir aufsteigen? Was lernst du daraus für dein Leben?
Solche Fragen sind wunderbare Möglichkeiten, um an den Kern des eigenen Seins hervor zu dringen. Zu erspüren, was du wirklich möchtest und vielleicht auch, welche Dinge geklärt werden wollen. Nicht aufschieben. JETZT ist die Zeit dafür.
Unnötige Ängste über Bord werfen
Bei Matthieu Ricard, ein buddhistischer Mönch und französischer Schriftsteller, habe ich vor langer Zeit eine Geschichte gelesen, die mich sehr geprägt hat. Es ging darin um einen Zahnarztbesuch und die enormen Ängste und Sorgen, die oftmals schon ein paar Tage vorher das ganze System lahm legen. Was passiert, wenn wir diese Angst für ein Ereignis in der Zukunft zulassen und uns ihr hingeben.
In der Geschichte musste der Termin am Ende verschoben werden, weil der Arzt krank war. Alle Sorgen und Ängste wegen des unangenehmen Zahnarztbesuches komplett umsonst waren, all die Mühe war reine Zeitverschwendung! Ich bin selbst kein großer Zahnarztfan und konnte direkt ein paar persönliche Erlebnisse in der Art vor meinem inneren Auge abrufen.
Die Geschichte trage ich seitdem dankbar mit mir und wende sie im Alltag an. Angst ist erlaubt – zur richtigen Zeit. Ansonsten verschwende ich keine kostbare Lebenszeit mit unnötiger Sorge um Dinge, die am Ende vielleicht gar nicht eintreffen. Es fühlt sich nämlich echt doof an, wenn die Angst umsonst war.
Immer wieder loslassen
Wir werden gerade alle zu Meistern im Loslassen erzogen. Globales Abschied nehmen von der Illusion, dass wir das Leben in der Hand haben und alles kontrollieren können. Pläne, Vorstellungen, Wünsche immer wieder loslassen und wieder loslassen. Häuten, transformieren, in Bewegung bleiben und sich selbst neu erfinden. Im eigenen Rhythmus durch die Jahreszeiten und Zyklen gehen, dem großen Plan vertrauen und immer wieder die Ohren dafür spitzen. Die freien Hände als Chance sehen und damit gemeinsam eine neue Welt erschaffen.
Das Leben lässt sich nicht festhalten, es lässt sich nur leben! Und zwar im HIER und JETZT mit allem, was da ist. Mit allem, was du bist!